In großen Teilen Sachsens wurden bis Mitte des 19. Jahrhunderts Ziegeldeckungen von Maurern mit ausgeführt.
Bereits Anfang des 18. Jahrhunderts hatte sich in Nordböhmen eine gewerkespezifische Arbeitsteilung zwischen Maurern und Ziegeldeckern herausgebildet. Letztere konnten sich dadurch frühzeitig als „Böhmische Ziegeldecker“ zu einem Berufsstand entwickeln, der spezielle Fertigkeiten und Fachkenntnisse sowohl beim Aufbereiten des Mörtels als auch beim Herstellen von Biberdeckungen hatte. Sachsens ziegeldeckende Maurer waren diesbezüglich hoffnungslos unterlegen.
Zunächst auf sommerlicher Wanderschaft, später auch in Sachsen ansässig, nahmen die böhmischen Ziegeldecker Arbeit an, wann und wo sie sich bot und kamen so mit den ansässigen Maurern in Konflikt. Auch in den Elbestädten Meißen und Riesa unseres Innungsterritoriums und in deren ländlicher Umgebung werden sie Ziegeldeckungen ausgeführt und nachhaltig die Entwicklung der Deck- und Mörteltechnik insbesondere bei Biberschwanzdeckungen geprägt haben.
Bauherren gaben mehr und mehr den böhmischen Ziegeldeckern Aufträge. Das veranlasste die Maurer zu Beschwerden bei der Obrigkeit. Erwiderungen dazu und Kritiken der Bauherren, die von der mangelhaften Ziegeldeckerei der Maurer enttäuscht waren, häuften sich. Zum Beispiel 1775:„Die Arbeiten der Maurer müssen bereits nach 3 bis 4 Monaten umgedeckt werden, die der böhmischen Ziegeldecker halten 16 bis 20 Jahre“. Und
„Weil man von den hiesigen Maurern überteuert wird und für sein Geld zusehen muss, dass zwei und drei Mann statt zu arbeiten, Tabak auf dem Dache schmauchen, sich allerhand Histörchen erzählen und zu halben Stunden umsehen, am Ende aber untaugliche Arbeit machen“.
Mit dem „Handwerkergesetz“ von 1897, auf dessen Grundlage u.a. Handwerkskammern eingerichtet wurden, endete letztendlich der Streit um Privilegien zwischen den Maurern und Ziegeldeckern. Sicher war das auch ein Grund dafür, dass sich viele Ziegeldeckerinnungen erst um die Jahrhundertwende bilden konnten.
Neben den Innungen entstanden auch Handwerksgenossenschaften wie Einkaufs-, Kredit- und Baugewerksgenossenschaften. Ausschlaggebend dafür war der Selbsthilfegedanke für Kleinbetriebe, die i.d.R. kapitalschwach waren und erkannten, dass man in der Gemeinschaft stärker ist.
Als erste ihrer Art in Sachsen wurde 1834 die Ziegeldeckerinnung Dresden gegründet.
Allmählich entwickelte sich nun ein Stamm einheimischer Ziegeldecker.
Wesentlich früher unternahmen die sächsischen Schieferdecker den Versuch, Innungen
zu gründen, um sich u.a. gegen die „Konkurrenz von außerhalb“ zu wehren.
Nachdem 1648 die Schieferdeckerinnung Lehesten/Thüringen gegründet wurde, unterstützten
1693 auch zwei Dresdner Schieferdecker einen allerdings vergeblichen Antrag auf Gründung einer Schieferdeckerinnung.
Ähnlich den böhmischen Ziegeldeckern suchten auch nichtsächsische Schieferdecker saisonbedingt Arbeit in Sachsen. So kam zum Beispiel 1893 der Vorfahre der Dachdeckerfamilie Fiedler, Riesa, aus Wurzbach/Thür. nach Sachsen und gründete in Riesa einen Dachdeckerbetrieb.
Die einst bestehende Trennung nach der Berufsbezeichnung Schieferdeckermeister oder Ziegeldeckermeister wurde 1930 auf Beschluss des 6. Reichsverbandstages des Deutschen Dachdeckerhandwerks in Bingen aufgehoben. Es gab nur noch die Berufsbezeichnung Dachdeckermeister.
Während sich über Jahrhunderte u.a. die böhmischen Ziegel- und thüringischen Schieferdecker mit Beginn des Winters in heimatliche Gefilde zurückzogen, mussten die ansässigen Dachdecker hier ausharren. Vielfach verrichteten Dachdecker im Winter Nebenarbeiten, um ihr Auskommen zu sichern, u.a. als Forstarbeiter, „Flegel-Drescher bei Landwirten, Leiter- oder Besenmacher oder als Hausschlächter.
Am Beispiel des Ziegeldeckers Möhler aus Pinnewitz Kreis Meißen soll zugleich ein Einblick in die Bedingungen im dörflichen Raum zum Ende des 19. Jahrhunderts gegeben werden.
Nach dem Erteilen der Gewerbeerlaubnis hatten sich die Gewerbetreibenden
bei der „Sächsischen Baugewerks – Berufsgenossenschaft“ selbst zu versichern. Sie mussten „täglich nach Maßgabe des Vordruckes versicherungspflichtige Arbeiten“ als Unternehmer für sich selbst eintragen, einschl. etwaiger Naturalbezüge. Innerhalb von sechs Wochen nach Ablauf des Kalenderjahres waren die Aufzeichnungen beim Genossenschaftsvorstand einzureichen und drei Jahre aufzubewahren. Bei unrichtigen Angaben drohte eine Ordnungsstrafe von 500,00 Mark. Ein Vermögen, wenn man die Arbeitsverdienste damaliger Zeit bedenkt. Gleichzeitig sind diese willkürlich ausgewählten Unterlagen Beweis der ausschließlich saisonbedingten Tätigkeit des Dachdeckers. Im Januar 1899 liest man nur vereinzelt Eintragungen „Ziegeldecken“, jedoch sehr viele Nebenarbeiten wie „Schlachten bei…..“ oder „Besen machen“ . Im Juli des gleichen Jahres ist täglich und ausschließlich „Ziegeldecken“ vermerkt.
Wer als Dachdeckerbetrieb die Möglichkeit hatte, nutzte die Wintermonate u.a. auch zum Herstellen von Dachspänen (Dachspließen) oder von Betondachsteinen für den Eigenbedarf. Zum Beispiel informierte man im Dachdeckerkalender um die Jahrhundertwende:
„Winterarbeit des Dachdeckers !
Die Herstellung der Zementdachsteine ist die denkbar einfachste und kann ohne besondere Vorkenntnisse mittels praktischer Handbetriebsmaschinen (Schlagtische) aufgenommen werden. Ein Raumteil Zement und drei bis vier Raumteile Sand werden gemischt. Als Arbeitsraum für eine Maschine genügt ein Schuppen von 25 bis 40 m² Größe. Die Tagesleistung beträgt je Arbeiter 300 bis 500 Stück“.
Vor allem im ländlichen Raum waren Dachdeckerbetriebe oft Ein-Mann-Betriebe und weit verstreut. Sie und die größeren Betriebe mussten lernen, auf den industriell-technischen Fortschritt zu reagieren, sich der jeweiligen Auftragslage anzupassen. Sie mussten zum Erweitern der Auftragsmöglichkeiten geeignete Deckungen empfehlen, die benötigten Baustoffe selbst ein- und verkaufen können. Wurden über lange Zeit Ziegel- und Schieferdächer, auch noch Strohdächer auf Nebengebäuden gedeckt, kamen mehr und mehr bisher unbekannte Deckstoffe zum Einsatz. Zum Beispiel galt es „Pappdächer“ fachgerecht herzustellen, nachdem sich auch im ländlichen Raum das Flachdach allmählich durchsetzte und u.a. in Niederau bei Meißen 1868 eine Dachpappenfabrik gegründet wurde.