Schon frühzeitig erkannten die Innungen, dass die solide Ausbildung des Berufsnachwuchses eine Möglichkeit ist, langfristig den Berufsstand zu sichern. In den Innungssatzungen unseres Dachdeckerhandwerks haben Festlegungen zum„Lehrlingswesen“ einen festen Platz. Nach 1870 bildeten die Innungen „Ausschüsse für das Lehrlingswesen“, denen neben dem Obermeister „vier Mitglieder, von denen zwei aus den Meistern, zwei aus den Gesellen zu wählen sind“. Das Lehrverhältnis begann mit dem Abschluss eines schriftlichen Lehrvertrages und dauerte mindestens drei Jahre. Der Lehrling wurde in die Lehrlingsrolle der Innung, später der Handwerkskammer eingetragen. 1921 bekam die Innung Meißen zu spüren, wie ernst es die Aufsichtsbehörden mit den Lehrlingsangelegenheiten nahmen. Mit einer Ergänzung der Innungssatzung im Verzug, ersuchte die Gewerbekammer Dresden den Stadtrat Meißen um Unterstützung, „gegebenenfalls unter Androhung einer angemessenen Strafe, weil ein bereits angemahnter Fragebogen einfach nicht beantwortet“ wurde.
Nicht alles lief nach Wunsch der Lehrlinge. In seinen Erinnerungen berichtet zum Beispiel der spätere Obermeister der Dachdeckerinnung Meißen, Arno Kohlstrunk:
„1900 kam ich aus der Schule und sollte Dachdecker lernen. Einen Lehrvertrag gab es nicht. Die Arbeitszeit war von früh 6.00 Uhr bis abends 19.00 Uhr festgesetzt. Der Lohn betrug 15 Pfennige je Stunde. Anfang November war mit der Arbeit Schluss, vor Mitte März ging es nicht wieder los. Was der Lehrling in dieser Zeit machte und wovon er lebte, danach fragte der Meister nicht.“
Modelldach
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten und im Zusammenhang des bereits erwähnten „Handwerkergesetzes“ wurden auch Innungsgelder eingezogen. Dem kam Obermeister Arno Kohlstrunk zuvor. Von Innungsgeldern errichtete die Innung Meißen 1933 ein im Freien stehendes Modelldach (Bilder 25 a, b) auf einem nicht innungseigenen Grundstück in der Hafenstraße (jetzt Metallwerkstätten des Beruflichen Schulzentrums Meißen, A.W.).Das Modelldach hatte die Grundform eines Walmdaches mit vier stehenden Fenstern, acht Kehlen, in gelatteter Fläche und ein stehendes Fenster, zwei Kehlen, in geschalter Fläche. Unterhalb des eigentlichen Daches befanden sich weitere 8 Arbeitsplätze für Grundlagen der Schiefer- und Ziegeldeckungen. An diesem Modelldach legten die Lehrlinge die Gesellenprüfung ab, seit 1936 auch die Zwischenprüfung. Vergleichbar mit der heutigen überbetrieblichen Ausbildung,, nur mit viel kürzerem Zeitaufwand, erhielten die Lehrlinge der Innung am Modelldach, später ergänzt durch einen Modellraum im Dachgeschoß eines Werkstattgebäudes, zusätzliche Unterweisungen und Möglichkeiten zum Aneignen und Üben von solchen Fertigkeiten, die nicht ausreichend in den Betrieben vermittelt werden konnten.
Mit einem großen Handwagen und meist vier Mann „Bespannung“ wurde nach 1947 das Übungsmaterial vom Betriebssitz des Fachlehrers Bastian in der Brauhausstraße zum Modelldach transportiert. Auch die Umschüler, wesentlich älter als die Lehrlinge, waren von diesen Transportaufgaben nicht befreit.
1963 mussten Modelldach und -raum baulichen Veränderungen durch den Grundstücksbesitzer weichen.
Begebenheiten
Nach 30 Jahren war das Modelldach als beispielgebende Errungenschaft zur Lehrlingsausbildung unserer Innung weg. Wie weiter ?
Direktor Fleischhauer der staatlichen Berufsschule entsprach der Bitte der Berufsgruppenleitung und stellte im Keller des Schulgebäudes, der „Roten Schule“, einen ca. 50 Quadratmeter großen Raum zur Verfügung. Sehr beengt, aber immerhin witterungsunabhängig, arbeiteten die Lehrlinge einmal wöchentlich ca. zwei Stunden an den Modellen. Auch die Zwischen- und Facharbeiterprüfungen wurden hier abgelegt. Ende der 70er Jahre stand die traditionsreiche Ausbildungsform vor dem Aus. Eine Schulinspektion verwarf das praktische Üben an der staatlichen Berufsschule, der Modellraum wurde geschliffen und einer anderen Bestimmung zugeführt. Aber das beharrliche Bemühen der Berufsgruppenleitung und des Fachlehrers führten zur Einsicht beim Direktor Reinker. Ein bisher ungenutzter Raum im Schulkeller wurde zum Modellraum ausgebaut, aus der bisherigen „Zirkelarbeit“ bildete man eine „ausserunterrichtliche Arbeitsgemeinschaft“ und die zusätzliche Ausbildung konnte in bewährter Form weitergeführt werden. Für den Inhalt blieb die Verantwortung bei der Berufsgruppe Meißen und dem Fachlehrer. Die Versorgung mit Ausbildungsmaterial und Werkzeugen/Geräten tätigte die Berufsgruppe in enger Zusammenarbeit mit der ELG Bau Meißen und der 1968 vom kreisgeleiteten Bauwesen gegründeten Betriebsschule des Bauwesens , die u.a. auch die Lehrlinge des ersten Lehrjahres der noch verbliebenen Handwerksbetriebe praktisch ausbildete.
Das zweite Lehrjahr ihrer zweijährigen Lehrzeit absolvierten die Lehrlinge dann in „ihrem“ Betrieb, mit dem sie zum Lehrbeginn den Lehrvertrag abgeschlossen hatten.
1990/91 wurden die Übungsmodelle aus den Kellerräumen der Berufsschule in die die Lehrwerkstätten des Beruflichen Schulzentrums, Niederfährer Straße, umgesetzt.
Die ergänzende Ausbildung an den Modellen blieb in dieser Form bis zum Beginn der überbetrieblichen Ausbildung im Landesbildungszentrum des Sächsischen Dachdeckerhandwerks e.V. in Schlema 1992 bestehen.
Gegenwärtig vermittelt vor allem Dachdeckermeister Andreas Fröhlich, Fachlehrer am Beruflichen Schulzentrum Meißen, den Dachdeckerlehrlingen in modernisierten Modellräumen des Schulzentrums Ergänzungen zum Inhalt der staatlichen Lehrpläne.
1990/91 nahmen auf Einladung von Herrn Geyer, Fachschulleiter in Skt. Andreasberg, die Lehrlinge unserer Innung
Jens Heinicke, Fa. Dachdeckermeister Fuhrmann, Miltitz,
Henry Lademann, Fa. Dach und Wand GmbH, Riesa,
Falk Wünsche, Fa. Ausbau Vogel GmbH, Meißen,
als Gäste kostenlos an der uns (noch) unbekannten überbetrieblichen Ausbildung teil.
Zur ersten Obermeister- und Delegiertentagung des Landesinnungsverbandes im Februar 1991 stimmten Kreisinnungsmeister Peter Helmert und weitere Delegierte unserer Kreisinnung dem Beschluss zu, die überbetriebliche Ausbildung in eigene Verantwortung des Landesinnungsverbandes zu übernehmen. Heute stehen Obermeister, Vorstand und Mitglieder unserer Innung zustimmend und unterstützend zum modernen Landesbildungszentrum in Schlema.
Im September 1992 führte die Arbeitsgemeinschaft Ziegeldach ihr traditionelles Fachseminar zur Denkmalpflege erstmals in den neuen Bundesländern mit über 500 Teilnehmern in Meißen durch.
Vor Architekten, Bauplanern, Denkmalschützern, Dachdeckern und Dachziegelherstellern zeigten Lehrlinge der Innung , zugleich Schüler des Beruflichen Schulzentrums Meißen, auf der Freifläche vor dem Stadttheater ihr Können (Bild 27 ).Vor allem das Decken eingebundener Biberkehlen in Mörteldeckung fand Beachtung und gab Anlass zu Fachdisputen.
Seit 1993 findet in unserem Landesbildungszentrum jährlich der Praktische Leistungswettbewerb der Handwerksjugend im Dachdeckerhandwerk statt. Hier treten die leistungsbesten Junggesellen der 12 Innungen unseres Landesinnungsverbandes an, um die Besten aus den Handwerkskammerbezirken Chemnitz, Dresden und zu Leipzig, die „Kammersieger“, um den Besten unseres Landesinnungsverbandes, den „Landessieger“, zu küren. Der Landessieger vertritt sein Bundesland beim Bundesausscheid. Das bisher beste Ergebnis für unsere Innung erreichte im Jahr 2000 Karsten Hanisch, ausgebildet im väterlichen Betrieb Dachdeckermeister Matthias Hanisch, Constappel. Er wurde Sieger der Kammer Dresden und Zweiter des Landes Sachsen. (Bild 28 ).
Dieses Ergebnis noch nicht kennend, reisten am Nachmittag des Wettbewerbstages
drei Dachdeckergenerationen in Familie an: Karstens Großvater, Vater und Mutter
sowie sein Bruder. Alle waren stolz auf die Platzierung.
Als jeweils Jahresbeste der Innung Meißen – Riesa – Großenhain nahmen folgende Junggesellen
am Leistungsvergleich teil:
Jahr Teilnehmer Platzierung/LIV Firma
1993 keine Teilnahme
1994 Ralf Fiedler 5. DDM Helfried Burkhardt
1995 Torsten Görlitz 8. DDM Karl-Heinz Müller
1996 keine Teilnahme
1997 keine Teilnahme
1998 Ronny Seppelt 7. DDM Matthias Hanisch
1999 Dirk Kirchner 5. DDM Detlef Ebert
2000 Karsten Hanisch 2. DDM Matthias Hanisch.
Für die Ausbildung standen unserem Dachdeckerhandwerk i.d.R. wenige Lehrlinge zur Verfügung. Zum Beispiel hielt DDM Erich Möhler 1983 „die Zuweisung nur eines Lehrlings für das private Dachdeckerhandwerk des Kreises Meißen für absolut unzureichend.“ In manchen Jahrgängen besuchten aus den Kreisen Meißen, Riesa und Großenhain zusammen nicht mehr als acht Dachdeckerlehrlinge den Unterricht in der Berufsschule Meißen. Ab 1990 wirkte die in der DDR übliche zentrale Zuweisung der Lehrstellen noch nach. Später stiegen die Lehrlingszahlen schnell an. Trotzdem führten unsere Innungsbetriebe 1996 noch Klage über fehlende Facharbeiter, obwohl bevölkerungsbezogen bereits mehr Lehrlinge ausgebildet wurden als in den alten Bundesländern.
Der Prüfungsausschuss der Dachdeckerinnung Meißen – Riesa – Großenhain nahm zum Beispiel
1993 21 Lehrlingen, 1995 18 Lehrlingen, 1997 55 Lehrlingen, 1999 63 Lehrlingen die
Gesellenprüfung ab. Nicht alle dieser Prüfungsteilnehmer erhielten ihre Ausbildung in unseren Innungsbetrieben.
Gegenwärtig, nur 5 Jahre nach der Klageführung, scheint der „Arbeitskräftemarkt“ gesättigt. Die Lehrlingszahlen nehmen aus unterschiedlichen Gründen deutlich ab.
Die jährliche Freisprechung der jungen Gesellen unserer Innung erfolgt seit mehreren
Jahren mit freundlicher Unterstützung der Firma Braas Dachsysteme GmbH im Dachsteinwerk Hirschfeld in feierlicher Form. Vor geöffneter Innungslade und der
Innungsfahne überreichen der Obermeister, der Prüfungsausschuss und Vertreter
des gastgebenden Betriebes die Gesellenbriefe und Präsente für besondere Leistungen.
Im Rahmen dieser Freisprechungsfeiern sind auch Geschicklichkeitstests für Jedermann Tradition (Bilder 29a und b).
Die Zwischen- und Gesellenprüfungen werden wie bisher vor dem Prüfungsausschuss der Innung –zu Zeiten der DDR vor der Prüfungskommission des Kreises, gebildet von der Berufsgruppe- abgelegt. Im Januar 2001 bestand der Gesellenprüfungsausschuss aus sechs Mitgliedern.
Seit Gründung der Dachdeckerinnung Meißen übten die Funktion des Vorsitzenden aus:
1911 – 1913 vorerst nicht namentlich belegbar
1913 – 1957 Arno Kohlstrunk, Meißen
1957 – 1973 Fritz Weber, Riesa
1973 1982 Manfred Scherf, Nossen
1982 bis jetzt Karl-Heinz Müller, Meißen .
Fachlehrer
Den Fachunterricht und die zusätzliche Ausbildung an den Modellen erteilten
1933 – 1944 Dachdeckermeister Arno Kohlstrunk, Meißen.
Herr Kohlstrunk war selbständig, u.a. 1923 – 1957 Obermeister der Dachdeckerinnung /Berufsgruppe Meißen, 1913 – 1957 Vorsitzender des Gesellen-/ Facharbeiter-Prüfungsausschusses und 20 Jahre Mitglied des Meisterprüfungsausschusses Dresden.
Nach einer kriegsbedingten Pause
1947 – 1961 Dachdeckermeister Hans Bastian, Meißen (s. Bild 21 ).
Herr Bastian war selbständig, besuchte 1936/37 die Deutsche Dachdeckerschule in Glauchau / Sa. zur Vorbereitung auf die Meisterprüfung und legte diese vor dem heimischen Meisterprüfungsausschuss ab.
1961 – 2001 Dachdeckermeister Achim Wünsche, Röhrsdorf;
Herr Wünsche war 1951-1954 Schüler bei Herrn Bastian, legte 1958 u.a. vor Herrn Kohlstrunk die Meisterprüfung ab, war zunächst wie seine Vorgänger nebenberuflich, seit 1964 hauptberuflich als Fachlehrer tätig.
Zum 01. März 2001 gab er den Staffelstab an Jüngere weiter, u.a. an Dachdeckermeister Andreas Fröhlich